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Wie ein Holländer Reichsmarschall Göring betrog

Der Schwindel flog erst auf, als man Han von Meegeren des Landesverrats anklagte, weil er eine nationale Ikone an die Nazis verkauft haben soll.

Jahrelang hatte Han van Meegeren, Künstler und Kunsthändler, darunter gelitten, dass seiner Kunst der eigenständige Schöpfergeist abgesprochen wurde. Pech auch, aus einem Land zu stammen, das so großartige Künstler wie Rubens, Rembrandt oder Vermeer hervorgebracht hat. Zeit seines Lebens eiferte er den Künstlern des Goldenen Zeitalters nach, die er bereits als Jugendlicher im Zeichenunterricht studierte. Moderne Malstile lehnte van Meegeren gänzlich ab. Als Kompromiss für seinen Vater, der den künstlerischen Neigungen seines Sohnes nichts abgewinnen konnte, studierte er zunächst Architektur in Delft, brach dies aber nach einigen Jahren zugunsten eines Zeichen- und Malstudiums ab. Er heiratete – auch dies gegen den Willen seines Vaters – die junge Kunststudentin Anna de Voogt und bekam mit ihr zwei Kinder. Bereits 1913 – gerade 23jährig – feierte er erste Erfolge in einem Kunstwettbewerb der Technischen Hochschule in Delft für ein im Stil des 17. Jahrhunderts gemaltes Aquarell, das er schon damals teuer verkaufen konnte – aus Geldnot musste damals auch die Goldmedaille, die er dafür erhielt, den Weg ins Pfandhaus antreten. Nach seinem Abschluss an der Kunstakademie verdiente er zunächst den Unterhalt für seine junge Familie als Restaurator oder durch das Zeichnen von Weihnachtskarten. Die Darstellung des zahmen Rehs der niederländischen Prinzessin Juliana verhalf ihm zum Durchbruch. Ähnlich berühmt wie in Deutschland der „Röhrende Hirsch“ hing das „Hertje“ als Reproduktion in jedem fünften holländischen Haushalt. Vor allem mit seinen Porträts konnte er bald gutes Geld verdienen und vor allem mit Aufträgen aus der High Society ordentliche Honorare einstreichen. Seit den zwanziger Jahren konnte van Meegeren von der Kunst leben, seine Auftraggeber schätzten ihn für seine Malweise, die an die von ihm verehrten Künstler des 17. Jahrhunderts angelehnt war.

Man schätzte ihn als Auftragsmaler, aber besondere Kreativität wird ihm nicht nachgesagt. Die Kunstkritik brachte van Meegeren zunehmend in Misskredit, in dem sie ihm vorwarf, nicht zur eigenen schöpferischen Leistung, sondern nur zur Nachahmung fähig zu sein. Damit hatten sie van Meegeren aber bei seinem künstlerischen Ehrgeiz gepackt. Er wollte seinen Kritikern beweisen, dass er nicht nur die großen Meister nachahmen kann, sondern sogar so perfekt fälschen könne, dass man seine Werke als echte Alte Meister anerkennen würde. Fünf Jahre lang bereitete er sich akribisch darauf vor: er studierte die historische Malkunst, die er bald meisterhaft beherrschte und war bei seinen Fälschungen gründlich bis ins Detail. Wertlose Gemälde aus dem 17. Jahrhundert dienten ihm als Malgrund – somit hatte er die alte Leinwand, die er zunächst ablaugte. Aus London besorgte er sich das sündhaft teure Lapislazuli-Blau, so wie es Vermeer verwendet hat. Zudem erarbeitete er eine ausgeklügelte Technik, ein Gemälde künstlich altern zu lassen: Er fügte den Farben den Kunststoff Bakelit bei, um sie schneller aushärten zu lassen. Nach dem Malvorgang trocknete er das Gemälde stundenlang mit dem Bügeleisen oder in einem extra dafür angefertigten Backofen, um diesen Prozess zu beschleunigen. Zum Abschluss rieb er die Leinwand mit der Rückseite über einen Metallzylinder, um das Craquelé, die für ein altes Gemälde so typische feine Rissbildung, zu erreichen.

Und schlussendlich wählte er für seine Fälschung nicht ein vorhandenes Motiv, das er exakt kopierte, sondern er erfand – im Stil eines Alten Meisters – ein unbekanntes, jahrhundertelang verschollenes Gemälde neu. Bei Jan Vermeer, von dem nur etwas mehr als 30 Gemälde überliefert sind, ist es ein Leichtes, stilistische Unsicherheiten durch einen Spätstil oder ein Werk aus einer frühen Epoche zu erklären – wer sollte es schon genau wissen, was Vermeer nicht noch alles gemalt hat. Van Meegeren kannte auch die kunsthistorischen Debatten seiner Zeit genau. Kunstexperten glaubten an die Existenz von Vermeer-Werken mit religiösem Inhalt, die in seiner Zeit in Italien entstanden sein könnten, Werke, die allerdings verschollen sind.  Und Van Meegeren gab den Kunstexperten, wonach sie suchten. Seine erste Vermeer-Fälschung aus dem Jahr 1936, Christus in Emmaus, konnte allen technischen Echtheitsproben Stand halten und überzeugte selbst den Vermeer-Experten Abraham Bredius, der begeistert von einer „Jahrhundertentdeckung“ sprach. Er widmete dem Fund einen kleinen Artikel im internationalen Burlington Magazin, hochbeglückt über „das Meisterwerk, so ganz anders als die andren Gemälde und doch jeder Zentimeter ein Vermeer“. Dabei hebt Bredius erstaunlicherweise besonders die Unterschiede zu den bekannten Vermeers hervor, in Größe, Sujet und Ausdruck der Dargestellten, und ist sich doch völlig sicher, hier ein lang verschollenes Kunstwerk vor sich zu haben.

Das freute den lange von der Kritik Verschmähten diebisch – seine Rache war geglückt, er hatte die renommiertesten Kritiker und Museumsexperten hinters Licht geführt. Das neu gegründete Bojman-Museum in Rotterdam zahlte ihm 540.000 Gulden für die Emmausjünger, mehrere Millionen Euro in heutiger Währung ausgedrückt, und schnappte sich dieses Meisterwerk nur knapp von dem Amsterdamer Rijksmuseum, das sogar einen echten Vermeer als Tausch geboten hatte. Van Meegeren trat dabei als Mittelsmann auf und gab an, den Vermeer von einer holländischen Familie, die nach Italien ausgewandert war, zum Verkauf angeboten bekommen zu haben.

Insgesamt sechs Fälschungen konnte er so für teures Geld an den Mann bringen. Van Meegeren war nun ein vermögender Mann und genoss seinen luxuriösen, ja ausschweifenden Lebensstil in Amsterdam, erfolgreich durch seine eigenen Kunstwerke, auch wenn er dies natürlich niemandem mitteilen konnte.

Sein größter Coup gelang ihm 1942. Holland war von den Nationalsozialisten besetzt, der Zweite Weltkrieg in vollem Gang, der Kunstmarkt nur noch eingeschränkt aktiv. Hitlers Kunstagenten zogen durch die besetzten Gebiete, um Kunstwerke für dessen geplantes Führermuseum in Linz zu „erwerben“. Und auch Reichsmarschall Hermann Göring, der selbsterklärte Renaissancemensch, war auf der Suche nach Beute für seinen Landsitz Carinhall, dem Mausoleum, das er seiner frühverstorbenen schwedischen Ehefrau in Brandenburg errichtet hatte. Göring war besonders versessen auf die Kunst Alter Meister und auch durchaus bereit, einen hohen Preis dafür zu bezahlen, wenn er sie dadurch anderen Interessenten vor der Nase wegschnappen konnte.

Über den holländischen Kunsthändler Alois Miedl erwarb Göring nun den vermeintlichen Vermeer „Christus und die Ehebrecherin“, angeblich aus dem Besitz einer verarmten italienischen Adeligen stammend. Um den Preis ranken sich viele Gerüchte – van Meegeren selbst gibt an 1,65 Millionen Gulden erhalten zu haben, eine andere Version spricht von anderen Kunstwerken im Tausch – die aber einen vergleichbaren, wenn nicht gar höheren Wert gehabt haben sollen. So gelangte ein vermeintliches Werk eines national bedeutsamen Künstlers in die Hände eines Nazi-Schergen.

Lange konnte Van Meegeren seinen ergaunerten Wohlstand nicht genießen. Drei Jahre später wird Hermann Göring verhaftet, seine Kunstwerke aufgefunden und von den Amerikanern in den Central Collecting Point nach München gebracht. Eine Spezialeinheit des Geheimdienstes für Kunstaufklärung verhörte ihn und die Kunsthändler des Dritten Reichs über ihre Erwerbungen und begannen damit gestohlene Kunstwerke an die Herkunftsstaaten zurückzugeben. Göring selbst wurde bei den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher zum Tod durch den Strang verurteilt, der Vollstreckung entzog er sich durch Freitod. Carinhall wurde von den Alliierten dem Erdboden gleich gemacht, die Kunstsammlung, die man im Österreichischen Salzbergwerk Altaussee auffand, wurde untersucht und – soweit möglich – an ihre Eigentümer zurückgegeben. So gelangte auch Van Meegerens „Vermeer“ wieder nach Holland zurück. In der Zwischenzeit waren aber auch in Holland Mitarbeiter des „Büros zur Bekämpfung der Vermögungsflucht“ bei der Überprüfung der Aktivitäten des Kunsthändlers Alois Miedl auf den Handel zwischen Van Meegeren und Göring aufmerksam geworden. Als vermeintlicher Kollaborateur holten sie Van Meegeren nun aus seinem Amsterdamer Patrizierhaus und brachten ihn in Untersuchungshaft: nicht nur hatte er (lukrative) Geschäfte mit den Nazis gemacht, nein, gleichzeitig hatte er auch ein national wertvolles Kulturgut ins Ausland verkauft. Nun war der Kunstfälscher in der Bredouille. Auf Feindbegünstigung standen hohe Zuchthausstrafen – also musste Van Meegeren im wahrsten Sinne des Wortes Farbe bekennen. Er gestand seine Fälschung. Kein Vermeer habe das Land verlassen, sondern ein Van Meegeren.

Das schien seinen Anklägern nun doch zu weit hergeholt. Sollte der alte Mann wirklich die Museumsfachleute und Kunstkritiker an der Nase herumgeführt haben? Oder versuchte er nur, seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen? Noch während der Untersuchungshaft musste Van Meegeren deshalb vor Zeugen seinen letzten Vermeer malen, um seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen: Christus unter den Schriftgelehrten (Abb. 2). Zwei Jahre lang untersuchten Experten anschließend die Bilder, die er als sein Werk deklariert hatte. Endlich glaubte man ihm, führte damit aber gleichzeitig seinen Bankrott herbei. Gefeiert als Nationalheld, der den „dicken Hermann“ aufs Kreuz gelegt hatte, sah er sich nun hohen Rückforderungen der betrogene Eigentümer gegenüber. Von seinem Reichtum blieb nicht mehr viel übrig. Im Oktober 1947 folge nun der Richterspruch im Landgericht: Der Vorwurf der Feindbegünstigung wurde fallengelassen, da Feind Göring im Gegenteil sogar übervorteilt worden war. Stattdessen wurde Van Meegeren wegen Fälschung und Betrug angeklagt und zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Bevor er die Haftstrafe antreten konnte, erlitt er in kurzer Folge zwei Herzanfälle und verstarb am 30. Dezember 1947. Als Künstler ist er nicht in die Geschichte eingegangen, sondern als genialer Fälscher. Was ihm am Ende seines Lebens blieb, ist die Genugtuung, die Nazis an der Nase herumgeführt zu haben.

Han van Meegeren malt einen Vermeer:
Han van Meegeren malt einen Vermeer: https://de.wikipedia.org/wiki/Han_van_Meegeren#/media/File:VanMeegeren1945.jpg