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Wem gehört Weltkulturerbe?

Wenn wir heute von Kulturgüterschutz sprechen, sehen wir das in der Regel in einer globalen Perspektive. Kulturgüter – handfeste oder immaterielle – sind schützenswürdig als Erbe der gesamten Menschheit, völlig unabhängig davon, wem sie gehören. Aber wie sah man das am Ende des Zweiten Weltkriegs?

Kultureller Internationalismus

Die Haager Landkriegsordnung sieht vor, im Fall eines bewaffneten Konflikts Kulturgut zu schonen, ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse. Mit diesem Anspruch sind im Zweiten Weltkrieg auch die Monuments Men, die Kunstschutzoffiziere, in den Krieg gezogen. Sie wollten dafür Sorge tragen, dass der Bombenhagel möglichst wenig historisch und kulturell bedeutsame Bausubstanz zerstört, dass möglichst wenig Kunstwerke und Kulturgegenstände unwiederbringlich verloren gehen. Aber auch, damit möglichst wenig Beutekunst gemacht wird – und sei es nur als Souvenir des einzelnen Soldaten. Der Nerobefehl Hitlers, der die gezielte Zerstörung der Infrastruktur und der Wertgegenstände Deutschland beinhaltete, damit sie nicht den Feinden in die Händen fallen, war den Amerikanern ein deutliches Beispiel für die NS-Kulturbarbarei. Dem wollten sie entgegenhalten, dass ihre Nation die europäische Kultur und ihre -güter hochschätzt, unabhängig davon, welchem Land sie denn genau gehört. Das beinhaltete auch den Schutz von deutschen Kulturgütern: Kirchen, Schlösser, Archive oder Kunstwerke wurden nicht gering geachtet, weil sie einer Nation gehörten, die unfassbare Gräuel gegen die Menschlichkeit angerichtet hatte. Im Gegenteil sahen die Monuments Men den Erhalt des Kulturgutes als bedeutend für den erfolgreichen Wiederaufbaus an: Wenn sich Deutschland wieder auf seine überkommenen Werte vor allem im Bereich der Kultur besinnt, bestünde noch Hoffnung, den Nazismus zu überwinden. Aber vor allem sahen sie die geschützten Kulturgüter als erhaltenswert an, weil sie von Menschen über Jahrhunderte geschaffen wurden, weil mit ihnen Traditionen und Werte überliefert werden, die nicht nur in Europa, sondern auch in den USA Geltung hatten. Weltkulturerbe – wenn auch noch mit einer sehr westlichen Orientierung.

Weltkulturerbe oder Nationales Kulturgut?

Als Walter Farmer mit seinen Kunstschutzkollegen im November 1945 das Wiesbadener Manifest verfasste, ging er streng genommen einen Schritt zurück. Er hatte mit seinem Team im Wiesbadener Collecting Point Kunstwerke zusammengetragen, die er nun auf ihre Eigentumsverhältnisse überprüfte. Wie sich herausstellte, waren diese Kunstwerke zu einem großen Teil keine Raub- und Beutekunst, sondern stammten aus den deutschen Museumssammlungen, überwiegend aus den Berliner Beständen. Als die amerikanische Regierung befahl, 200 Kunstwerke davon auszuwählen und zur sichereren Unterbringung in die USA zu bringen, witterte Farmer eine Beutekunstabsicht und wehrte sich gemeinsam mit den anderen Kunstschutzoffizieren gegen diesen Abtransport. In seinen Augen war es nicht zulässig, deutsches Kulturerbe abzutransportieren – es müsse zwingend für die deutsche Bevölkerung zur Verfügung stehen. Es ist – nach Meinung der Monuments Men – ein wertvoller Beitrag für den kulturellen Wiederaufbau Deutschlands. Ihrer Meinung nach ist „keine historische Kränkung so langlebig (..) und (ruft)  so viel gerechtfertigte Verbitterung hervor(..) wie die aus welchem Grunde auch immer erfolgende Wegnahme eines Teils des kulturellen Erbes einer Nation.“ (Wortlaut des Wiesbadener Manifests). Ob die Unterbringung in Deutschland tatsächlich nicht ausreichend sichergestellt war – wie es der Befehl aus Washington offiziell begründete – darüber lässt sich streiten. Aber in dem Wiesbadener Manifest postulieren die Monuments Men nicht die Idee eines Weltkulturerbes, sondern eines nationalen Kulturerbes. Wenn es darum geht, Kulturgüter für die gesamte Menschheit zu erhalten und sie möglichst aus gefährdeten Regionen oder vor unsachgemäßer Lagerung in Sicherheit zu bringen, wäre eine Verbringung in die USA nicht falsch gewesen. Farmer und seine Kollegen argumentieren jedoch mit der Notwendigkeit, die Kulturgüter in ihrem Land zu belassen. Vor allem hatte Farmer die Kunstraubzüge der Nationalsozialisten vor Augen, mit denen er sich und seine Truppe nicht in Verbindung bringen wollte, als er gegen den Abtransport protestierte. Er befürchtete Imageschäden der Monuments Men und sah die weitere Zusammenarbeit mit seinem lokalen deutschen Team im Museum Wiesbaden, aber auch mit den anderen Alliierten gefährdet, wenn die USA sich ebenfalls der Beutekunst schuldig machen würde.

Wem gehört Weltkulturerbe?

Darüber hinaus kann man natürlich darüber diskutieren, wem den die Kunstgegenstände wirklich gehören. Zu den Kunstwerken, die sich in Farmers Wiesbadener Obhut befanden, gehörte die Büste der Nofretete, die Anfang des 20. Jahrhunderts aus Ägypten nach Berlin kam und bis heute Diskussionsgegenstand einer möglichsten Rückgabe zwischen den Regierungen ist. Wann ist ein Kulturgegenstand ein „Deutsches Kulturgut“? Wenn es in Deutschland produziert wurde? Wenn der Produzent ein Deutscher war? Oder reicht es aus, wenn es von deutschen Museen angekauft wurde? Ein Großteil der 200 abtransportierten Kunstwerken stammte von Künstlern aus Frankreich, Italien oder den Niederlande. Ist es deshalb deutsch, weil es sich bereits seit langen Jahren in deutschem Museumsbesitz befunden hatte?

Farmer hatte Gutes im Sinn, als er um den Erhalt der deutschen Museumssammlungen kämpfte und sich dagegen verwehrte, dass sie in die Vereinigten Staaten abtransportiert. Er wollte die Kunstwerke nicht unbedingt für die gesamte Menschheit bewahren, sondern kämpfte dafür, dass es wieder der Nation zugesprochen wird, der es vor dem Krieg gehörte. Ein Vertrauensvorschuss in die Überlebensfähigkeit der deutschen Nation, die es schaffen würde, den Nazi-Terror zu überwinden und wieder eine Kulturnation zu werden.

 

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