Kunst, Unternehmen, Öffentlichkeit
Corporate Art – Gedanken zu einem Dreieck, das keines ist
Betritt man die Eingangshallen größerer Unternehmen, hat man nicht selten das Gefühl, sich in eine Kunsthalle verirrt zu haben. Viele Firmen haben ihre öffentlichen Räume wie auch die Büros der leitenden Angestellten mit modernen und zeitgenössischen Kunstwerken von hoher Qualität dekoriert, die ohne Weiteres in einem renommierten Museum für Gegenwartskunst hängen oder stehen könnten. Manch international operierende Firma hat mittlerweile sogar eine qualitativ bessere Kunstsammlung als ein Durchschnittsmuseum in der Provinz. Zwar ist dies im kontinentalen Europa – dem die Vereinigten Staaten sowie das Vereinigte Königreich um einiges voraus waren – eine relativ neue Entwicklung, die sich erst in den letzten Jahrzehnten richtig durchgesetzt hat, aber es sieht danach aus, dass sie bleibend ist.
Neue Verhältnisse
Im Zuge der neoliberalen Ideologie, die in ganz Europa mittlerweile für das Alpha und Omega des Verhältnisses des Staates zum Markt und zu seinen Bürgern gehalten wird, hat sich die kulturelle Welt mehr und mehr an der freien Wirtschaft ausrichten müssen. Der Staat konnte oder wollte nicht länger allein für die Finanzierung der Künste zuständig sein. Was vor Jahrzehnten ganz vorsichtig mit dem privaten Sponsoring von einzelnen Ausstellungen begonnen hat, ist mittlerweile zu einer richtigen Industrie angewachsen. Jede größere Kulturinstitution beschäftigt mindestens einen Mitarbeiter – wenn nicht gar eine ganze Abteilung – damit, Kontakte zu den großen Unternehmen in der Umgebung zu pflegen, um sie zu überreden, sich auf bisher staatlichem Hoheitsgebiet zu betätigen: der finanziellen Förderung von Kunst. Umgekehrt hat die Geschäftswelt verstanden, dass Kunst und Kultur nicht nur dem reinen Genuss, sondern auch den eigenen Unternehmenszielen dienen können, und setzt sich finanziell und ideell dafür ein.
Was bedeuten diese Entwicklungen? Es bedeutet sicherlich vieles, aber nicht, dass die Privatwirtschaft im Bereich der Kultur die Rolle des Staates vollständig übernommen hätte. Sponsoring wird noch immer fast ausschließlich für Aktivitäten mit großer gesellschaftlicher Relevanz – vorzugsweise Ausstellungen mit hohem Prestige, nicht die alltägliche Museumsarbeit – eingesetzt. So bleibt die staatliche Förderung weiterhin für das wenig öffentlichkeitswirksame Fundament wie das Konservieren und Archivieren der Kunstwerke zuständig, während sich die freie Wirtschaft die großen Renommierprojekte aussucht.
Die Motive, aus denen sich die freie Wirtschaft überhaupt an Kunst und Kultur beteiligt, lassen sich wahrscheinlich am einfachsten am Beispiel ihrer Kunstsammlungen untersuchen. Und um es direkt vorwegzunehmen, eine Corporate Art Collection ist ganz sicherlich nicht mit einer Museumssammlung zu vergleichen, denn am Arbeitsplatz herrscht nicht museale Stille, sondern die Alltagshektik eines Unternehmens. Die Arbeiten sind in einer Umgebung ausgestellt, in der es um Wertschöpfung geht und die Kunstsammlung hat ihre Rolle in eben dieser Wertschöpfung zu spielen: sie muss für das Unternehmen von Bedeutung sein, um nicht bei den erstbesten Sparmaßnahmen wieder abgeschafft zu werden. Um es auf den Punkt zu bringen: Während ein Museum Kunst für die nächsten Generationen sammelt, erforscht und der Öffentlichkeit zugänglich macht, dient eine Unternehmenssammlung dem Tagesgeschäft.
Warum denn Unternehmenssammlungen?
Warum sammeln Unternehmen denn Kunst – ist das nicht überflüssiger Ballast? Welches Ziel verfolgen sie damit? Warum sollte ein Betrieb Ressourcen sowohl finanzieller als auch personeller Natur aufwenden, wenn er doch eigentlich nur seine Produkte und Dienstleistungen an den Mann bringen will?
Die gelebte Praxis zeigt: Kunst und der Besitz einer Kunstsammlung sind für ein Unternehmen weder Philanthropie oder überflüssiger Luxus noch eine kontraproduktive Frivolität, sondern können einem nachweisbaren Zweck dienen und mit sehr vielen Prozessen innerhalb des Unternehmens verbunden werden. Die Rolle der Kunstsammlung im Unternehmen ist keineswegs das Ergebnis eines flüchtigen Managementtrends, sondern beruht auf fundierten strategischen Überlegungen in Bezug auf Werbung, Marketing und Unternehmenskommunikation. Eine Kunstsammlung ist jedoch ganz sicherlich für ein Unternehmen keine Kapitalanlage, auch wenn sich dieses Missverständnis hartnäckig hält. Wird geschickt Kunst gekauft, werden einige Werke zwar mit der Zeit an Wert gewinnen, doch der mögliche Ertrag in einem gesunden Unternehmen ist im Verhältnis zu den Gewinnen aus dem eigentlichen Geschäft verschwindend gering und nicht regelmäßig risikoarm zu erwirtschaften. Damit wäre es Spekulation, denn Kunst liegt ja außerhalb des Kerngeschäfts und damit auch außerhalb der eigentlichen Kernkompetenz. Kunst ist allerdings ein Instrument, das zum Beispiel die Kommunikation vergleichsweise kostengünstig unterstützen kann. Mit dem Einsatz von bedeutend weniger finanziellen Ressourcen lässt sich im Kunstbereich oft ebenso viel erreichen wie zum Beispiel mit teuren Werbeanzeigen in der nationalen Presse oder im Fernsehen.
Unternehmenssammlungen – die Wirkung nach Innen
Eine wesentliche Unterscheidung liegt in der Frage, ob die Kunstsammlung nach Innen oder nach Außen wirken soll – zunächst werfen wir einen Blick auf die interne Wirkung. Bei nicht wenigen Unternehmen werden Kunstwerke fast ausschließlich als Einrichtungsgegenstand verstanden. Dabei verfolgen die Unternehmen eine einfache Zielsetzung: die Verschönerung der Räume. Diese Variante ist zugleich die ursprüngliche, denn bei der Mehrzahl der kunstsammelnden Firmen hat es mit der Dekoration – der Einrichtung der Büros, oder noch einfacher formuliert: wegen der leeren weißen Wände – angefangen.
Hinsichtlich der Frage, an welchen Stellen im Unternehmen Kunst installiert wird, kommen die Betriebe zu ganz unterschiedlichen Antworten. Oft werden nur die öffentlichen Bereiche sowie die Büros der Geschäftsleitung mit Kunstobjekten ausgestattet, denn gerade da bilden wertvolle Kunstwerke einen wesentlichen und auch unverzichtbaren Bestandteil der Einrichtung. In anderen Unternehmen hat dagegen jeder Mitarbeiter Anspruch auf ein Kunstwerk für den eigenen Arbeitsplatz. Bei der Antwort auf die Frage, wo Kunst ausgestellt wird, spielen nationale Gewohnheiten eine Rolle. So werden vor allem in nordeuropäischen Firmen jedem Mitarbeiter Kunstwerke an seinem Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt, während dies in den Mittelmeerländern eher ungewöhnlich ist. Immerhin stellen die in den Räumen präsenten Kunstgegenstände nicht nur ein ästhetisches Objekt, sondern auch ein Prestigeobjekt dar. Die höherpreisigen Kunstwerke, meist von bekannten Künstlern, finden sich daher häufiger in den Vorstandsetagen oder repräsentativen Gebäudeteilen als beim einfachen Sachbearbeiter. Die Kunst stellt also gleichzeitig eine Auszeichnung dar, eine Form der Wertschätzung, und ist damit auch ein Mittel der internen Kommunikation.
Der Beitrag von Kunstwerken in einem produktiven Umfeld geht somit weit über das rein Dekorative hinaus. Richtig ausgewählt und platziert bieten sie zudem die Möglichkeit zur Inspiration, zum Wohlfühlen oder zur Kreativität. Es ist psychologisch erwiesen, dass visuelle Anreize in einem Raum eine kaum zu unterschätzende Wirkung haben. Schon die Farbauswahl von Kunstwerken – um doch noch einmal im Bereich des Dekorativen zu bleiben – beeinflusst die Stimmung der Betrachter. Ob beruhigendes Grün, ermunterndes Rot oder fröhliche Gelb- und Orange-Varianten, der Wirkung kann man sich kaum entziehen. Aber auch der Bildinhalt hat seine Wirkung. Mit kaum einem anderen Medium kann man „out-of-the-box-Denken“ besser fördern als mit Werken zeitgenössischer Künstler, die ihrerseits die Grenzen des bisher Gekannten gesprengt haben.
Auch auf andere Weise kann ein Unternehmen seinen Mitarbeitern mit einer klugen Auswahl an Kunstwerken ein Fenster zu einer bisher so gut wie unbekannten Welt öffnen. So können Kunstgegenstände chinesischer Künstler die Aufmerksamkeit auf China lenken und die Größe des Landes vor Augen führen, das einen ebenso umfangreichen Absatzmarkt und damit viele Möglichkeiten auch für die eigene Firma verspricht. Ein solcher Einsatz von Kunst kann die Mitarbeiter aus ihrem europäischen Kokon holen und ihnen einen Blick auf die weite Welt mit ihren enormen Chancen ermöglichen.
Die stimulierende Rolle der Kunst lässt sich übrigens auch dann nutzen, wenn, beabsichtigt oder nicht, Werke ausgestellt werden, die negative Reaktionen hervorrufen. Auch das kann eine Funktion erfüllen. Kunst im Büro muss nicht immer nur ästhetisch ansprechend sein. Kontroverse Kunst kann helfen, Mitarbeiter aus ihrer Komfortzone zu locken und sie so zu höheren Leistungen anzuspornen. Hier stoßen wir aber auch auf ein Spannungsfeld zwischen zwei Orientierungen. Auf der einen Seite stehen die Bedürfnisse der Mitarbeiter, die vielleicht lieber ein leicht zugängliches Kunstwerk hätten, und auf der anderen Seite die des Managements, das sich mit Blick auf das Image des Unternehmens für einen ganz anderen Typ Kunst entscheidet. Somit steht die dekorative Funktion der Kunst manchmal in einer gewissen Spannung zur Funktion als Kommunikationsmittel. Dies ist wahrscheinlich einer der wichtigsten Gründe, weshalb die Kunst im Unternehmen nicht immer von allen begrüßt wird.
Sollten die Mitarbeiter die Kunst im Büro ablehnen, dann kann dies das Gegenteil von Identifikation mit dem Unternehmen bewirken. Im Extremfall kann die Ablehnung sogar zur heimlichen Beschädigung der Arbeiten führen. Aber auch die Mitarbeiter, deren Begeisterung für Kunst sich in Grenzen hält, vermissen die Werke in dem Moment, in dem sie entfernt werden. Dieser Aspekt der Kunst lässt sich vor allem dann beobachten, wenn eine große Fusion oder Übernahme stattfindet, in deren Sog das Personal an einem neuen Arbeitsplatz oder sogar in einem anderen Gebäude untergebracht wird. Wenn die Kunstwerke mitgenommen werden können, wird dies dazu beitragen, dass sich die Mitarbeiter schneller im neuen Unternehmen beziehungsweise an dem neuen Ort zurechtfinden, wobei es erstaunlicherweise relativ egal ist, ob sie nun Kunst schätzen oder nicht.
Unternehmenssammlungen – die Wirkung nach Außen
Wie oben bereits erwähnt, ist es möglich, mit Kunst Elemente der Firmenidentität zu transportieren. Somit kommen wir auf die Wirkung nach Außen zu sprechen, denn diese repräsentative Wirkung zeigt sich vor allem – wenn auch nicht ausschließlich –auf externe Empfänger, denen die Werte und wichtigsten Aspekte der Firma vermittelt werden. Legt das Unternehmen zum Beispiel viel Wert auf eine internationale Positionierung, so sollte es Kunstwerke aus aller Herren Ländern präsentieren. Ist das Unternehmen regional verankert, so wird es sich eher mit Werken lokaler Künstler schmücken. Nachwuchsförderung als Corporate Value lässt sich durch das Fördern junger, noch unbekannter Künstler ausdrücken, das heißt buchstäblich sichtbar machen. Zudem lassen sich mit Kunst Werte wie gesellschaftliches Engagement oder Innovationsgeist gut und vor allem einem breiten Publikum vermitteln. Schließlich möchten sich die meisten Unternehmen ausdrücklich als „modern“ darstellen, und dazu eignen sich zeitgenössische Kunstwerke nun einmal sehr gut.
In der Regel wird der Einsatz der Kunstwerke ganz bewusst auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet, ob dies nun die Mitarbeiter, aktuelle oder potenzielle Kunden, die Aktionsbesitzer und Investoren oder aber die kulturelle Umgebung sind. Damit ergeben sich auch ganz unterschiedliche Ansatzpunkte in der Nutzung. Im Rahmen der Kundenkontakte kann Kunst ganz direkt eingesetzt werden. In dieser Beziehung ist Kunst ein „conversation piece“, ein Thema, über das man ins Gespräch kommt, bevor man sich den fachlichen Inhalten zuwendet. In der einfachsten Weise kann eine Bemerkung über ein Kunstwerk im Raum das Eis während der ersten Minuten eines Kundengespräches brechen. Etwas weiter gefasst sind es vor allem Banken, für die im Kontakt zu vermögenden Kunden, sowohl für die Entwicklung als auch den Erhalt der Beziehung, Kunst ein wichtiges Instrument ist. High-End-Kunden haben häufig ein starkes Interesse an Kultur. Eine Bank kann diese Affinität nutzen, entweder durch einfache Maßnahmen wie einen geschenkten Sammlungskatalog bis hin zur eigenen Präsenz auf einer Kunstmesse, um dort (potenzielle) Kunden in einer mit ihren Kunstwerken ausgestatteten Lounge zu empfangen. So kann es gelingen, ins Gespräch zu kommen und die Kontakte zu pflegen beziehungsweise den Akquisitionsprozess in Gang zu bringen.
Kunst wird außerdem eingesetzt, um die Marke zu unterstützen. Besonders wichtig ist dieser Wertetransfer zum Betrachter bei Unternehmen mit nicht-physischen Produkten. Deshalb nimmt es nicht wunder, dass vor allem Banken und Versicherungsgesellschaften eine Kunstsammlung besitzen. So bekommen ihre immateriellen Produkte, die in der Regel keinerlei emotionalen Reaktion hervorrufen und daher schwer zu vermarkten sind, trotzdem ein Gesicht. Aus diesem Grund sind Finanzdienstleister sehr aktiv in der Kunstwelt.
Manchmal widerspiegelt sich sogar das Produkt direkt in der Kunstsammlung. Ein konsequent umgesetztes Beispiel dieses Einsatzes von Kunst als Branding Tool bietet die Firma Alfred Ritter GmbH & Co. KG. Das deutsche Familienunternehmen produziert Schokoladentafeln in quadratischer Form („Ritter Sport“) und besitzt eine Kunstsammlung mit 800 Werken, deren zentrales Thema das Quadrat in der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts ist. Die meisten der insgesamt 350 vertretenen Künstler gehören Strömungen wie dem Konstruktivismus und der Konkreten Kunst an. Unter ihnen finden sich so große Namen wie Kasimir Malewitsch und El Lissitzky. Die Sammlung hatte ihre Anfänge im Jahr 1985. 30 Jahre später wurde das Museumsgebäude – selbstverständlich ebenfalls vom Quadrat inspiriert – erbaut. Das Museum dient eindeutig dem Unternehmen: Es befindet sich auf dem Betriebsgelände, neben der Fabrik und einer Verkaufsstelle. Zudem organisiert die Firma Ritter Ausstellungen für ihre Kunden beziehungsweise Partner, die damit ebenso das Image der Marke („quadratisch, praktisch, gut“) transportieren.
Über die Produktebene hinaus kann Kunst ein Beitrag zum Corporate Image leisten und das Vertrauen in das Unternehmen und den guten Ruf der Firma fördern. Dieser Einsatz ist Teil der Firmenkommunikation. In diesem Rahmen wird oft auch auf die gesellschaftliche Aufgabe von Unternehmen, die sogenannte Corporate Social Responsibility, hingewiesen, die, wenn es um die kulturelle Verantwortung eines Unternehmens geht, auch als Corporate Cultural Responsibility bezeichnet wird. Zu dieser Aufgabe, dem kulturellen Engagement von Unternehmen, gehören unter anderen die Kulturvermittlung an die Mitarbeiter, das Kunstsponsoring und der Besitz einer Kunstsammlung. Der Kauf von Werken auf dem Primärmarkt, aus dem Atelier und in Galerien – und damit die Unterstützung lebender Künstler -, passt dazu. Das gleiche gilt natürlich für die Vergabe direkter Aufträge an einen Künstler.
Noch einen Schritt weiter als die Unterstützung des Corporate Image geht die Sammlung als Imageträger. Ein Beispiel für ein Unternehmen, das mit Kunst die Wahrnehmung der Firma gesteuert hat, ist Cartier: Vor dreißig Jahren wurde der französische Schmuckhersteller als altmodisch, als eine Marke für ältere Damen, wahrgenommen. Gegenwartskunst sollte dieses Bild ändern. Cartier hat dazu eine hoch dotierte Stiftung, die Fondation Cartier pour l’art contemporain, gegründet. Schon das vom Star-Architekten Jean Nouvel entworfene Gebäude in Paris zeugt von Modernität, die durch die ausgestellten zeitgenössischen Künstler fortgeführt wird. Formal ist die Stiftung unabhängig, über den Namen werden die kulturellen Aktivitäten jedoch mit der Marke Cartier verknüpft, die so ein in hohem Maße zeitgemäßes Image bekommt.
Unternehmungssammlungen versus öffentliche Sammlungen
Unternehmen, die sich für eine Kunstsammlung entscheiden, sehen sich in der Regel einigen Herausforderungen gegenübergestellt. So stellt sich direkt die Frage nach geeigneten Mitarbeitern für eine Kunstabteilung und damit das Problem, was sie genau machen müssen, damit der Einsatz der Sammlung zum Erfolg wird. Was zu tun, um die erworbene Kunst zielführend einzusetzen? Die zunächst wichtigste Frage bleibt aber, welche Kunst erworben werden soll.
Zuerst muss angemerkt worden, dass es so etwas wie „Firmenkunst“ nicht gibt, auch wenn immer wieder davon gesprochen wird. Für die Auswahl der Kunstwerke gelten für Unternehmenssammlungen zunächst dieselben Qualitätskriterien wie für jede andere Sammlung auch. Denn vor allem, wenn die Sammlung extern eingesetzt werden soll, braucht die Kunst den Segen der Kulturwelt-Insider – der Kunstkritiker, der Presse, der führenden Persönlichkeiten der Museumswelt, der wichtigsten Gegenwartskünstler usw. -, damit sie nicht als minderwertig angesehen wird und ihr Ziel verfehlt. Da Kunst jedoch in einem Unternehmen eine besondere Rolle spielt, werden darüber hinaus zusätzliche Aspekte berücksichtigt, die etwa bei einem Museum oder einem privaten Sammler keine Rolle spielen würden.
Was den Bildinhalt anbelangt, berücksichtigen viele Unternehmen strikte Regeln: zum Beispiel werden selten Werke mit einem explizit erotischen Inhalt erworben (obwohl man diese Einschränkung eher in den Vereinigten Staaten als in Europa antrifft). Auch politische oder religiöse Inhalte werden gemieden, weil diese für Mitarbeiter wie auch für die Besucher zu kontrovers sein könnten. Amerikanische Firmen beschränken sich, insbesondere wenn die Sammlung hauptsächlich intern genutzt wird, meist auf lokale Künstler, während europäische Unternehmen vor allem Kunstwerke aus dem eigenen Land kaufen. Dies hat selbstverständlich in erster Linie mit den Kosten zu tun.
Ein besonderes Spannungsfeld im Zusammenhang mit dem Ankauf von Kunstwerken für eine Unternehmenssammlung liegt in der Frage der Autonomie der Kunst. Man kann sogar noch einen Schritt weitergehen: Die Beziehung zwischen Kunst und Unternehmensimage ist immer ein wenig problematisch, da Kunst per se autonom ist, während sie für die Firma nicht das Ziel, sondern ein Mittel ist. Allerdings sollte man die damit verbundenen Probleme und Herausforderungen nicht überbewerten: der größte Teil der Renaissancekunst wäre nie produziert worden, wenn die damaligen Künstler Auftragsarbeiten und den Kontakt zur Wirtschaft gescheut hätten. Dennoch hatten Künstler wie Galeristen, vor allem im kontinentalen Europa, lange Zeit beim Verkauf ihrer Werke an Unternehmen Bedenken. Das lag zum Teil daran, dass Unternehmenssammlungen relativ unbekannt waren und damit der Verkauf von Kunst an Firmen neu und gewöhnungsbedürftig war. Zudem haftete dem Verkauf an Firmen im Vergleich zum Verkauf an Museen noch lange Zeit ein Nachteil an: Die Werke wurden nicht selten den Blicken der Öffentlichkeit entzogen, da nicht alle Unternehmenssammlungen frei zugänglich sind. Die Kunstwerke befinden sich hinter verschlossenen Türen, in einem Bereich, der nur den Mitarbeitern und Geschäftskontakten, nicht aber der kunstinteressierten Öffentlichkeit offensteht. In letzter Zeit schwand aber auch dieser Vorbehalt: es wird anerkannt, dass es für die Auffassung, die Geschäftswelt habe im kulturellen Bereich weder Bedeutung noch eine Aufgabe, keine Rechtfertigung gebe. Ein Verweis auf die Vergangenheit reicht bereits, denn manches Kunstwerk, das einer privaten Sammlung oder sogar Unternehmenssammlung gehörte, ist mittlerweile längst allgemein anerkanntes Kulturgut geworden.
So wurde zum einen die Beziehung zwischen Unternehmenssammlungen und öffentlicher Kunstwelt, insbesondere dem Museumsbereich, immer enger und Werke von Unternehmen wurden häufiger für Sonderausstellungen im Museum ausgeliehen. Zum anderen zeigte sich, dass der Verkauf an ein Museum keineswegs ein Garant für eine Ausstellung des Werks darstellte. Denn die Depots der Museen füllten sich zunehmend, während die Ausstellungsräume zum Teil für Sonderausstellungen benutzt wurden. Für viele Künstler fiel damit die Entscheidung zwischen einer Ausstellung in einem Bürogebäude – das tagtäglich Hunderte von Besuchern hat – oder einem Museum, das das Werk womöglich nie ausstellt, sondern es im Depot lagert, immer leichter.
Mit der Zeit wurden daher die Unternehmenssammlungen zu einem akzeptierten Bereich in der kulturellen Landschaft, ebenso respektabel und für einen in der Sammlung vertretenen Künstler mit einem ebenso positiven Effekt auf seine Karriere wie eine herkömmliche Kulturinstitution. Hatte es früher gelegentlich Bedenken gegeben, verkaufen mittlerweile Künstler ihr Werk gern an Firmen: In einer großen Unternehmenssammlung vertreten zu sein, gilt als ein Qualitätsmerkmal. Auch in einer anderen Hinsicht haben sich die öffentlichen Sammlungen und die der freien Wirtschaft wenigstens scheinbar angenähert. Mehrere Unternehmen verfügen über ein eigenes Kunstmuseum oder zumindest einen öffentlich zugänglichen Ausstellungsraum. Ein Beispiel hierfür ist die Deutsche Bank mit ihrer Berliner KunstHalle. Die Bank ist aber nicht das einzige Unternehmen, das sich in diesem Bereich betätigt: Die japanische Kosmetikfirma Shiseido hat bereits seit den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts eine Galerie für Kunstausstellungen, und auch die bereits genannte Firma Ritter sowie das Handelsunternehmen Würth unterhalten eigene Museen, um nur einige Beispiele zu nennen. Vor allem im Mittelmeerraum ist es nicht unüblich, dass am Hauptsitz ein Ausstellungsraum, der für Kundenempfänge genutzt wird, auch für Kunstliebhaber zugänglich ist. Die Unternehmen erkennen, dass ein eigenes Museum zwar kostspielig, aber auch ein äußerst wirksames Tool ist, wenn es darum geht, Marketing- beziehungsweise Markenmanagement oder ganz allgemein Unternehmenskommunikation zu betreiben.
Das Dreieck, das keines ist
Kunst kann einen derart wichtigen Beitrag für jedes Unternehmen leisten, dass es sich lohnt, sie zum festen Bestandteil der Unternehmenspolitik zu machen. Und in der Tat machen viele Unternehmen genau das: Sponsoring von Ausstellungen in großen Museen, eine Kunstsammlung, ein eigenes Museum – es scheint, als ob die freie Wirtschaft einen Teil der Kulturaufgabe des Staates übernommen hat. Gibt es also neben dem Dreieck Kunst, Staat, Öffentlichkeit nun auch ein Dreieck Kunst, Unternehmen, Öffentlichkeit? Nein, dies ist wirklich nur auf den ersten Blick der Fall: die freie Wirtschaft richtet sich nicht an die Öffentlichkeit, sie richtet sich an ihre Kunden, auch wenn es hier Schnittmengen gibt. Dies führt dazu, dass Firmensammlungen grundsätzlich anders als Museumssammlungen sind und diese auch nicht ersetzen können, so wie die freie Wirtschaft die Betätigung des Staates nie ersetzen wird. Selbst wenn eine Firma für das große Publikum seine Tore öffnet, weisen die Motive für die Sammlungstätigkeit kaum Parallelen zu einer Museumsammlung auf. Museen sammeln Kunst für die nächsten Generationen, erforschen sie und machen sie der Öffentlichkeit zugänglich, eine Unternehmenssammlung dagegen dient dem Geschäft. Das ist legitim und das sollte hier nun wirklich unbestritten bleiben. Es ist sogar faszinierend, dass Kunst vielen Zielen dienen kann und sogar in einer Business-Umgebung eine eigene und bedeutende Rolle hat, aber es bleibt eine öffentliche Aufgabe, die wichtigsten Kunstwerke unserer Kultur zu schützen, zu konservieren und an die nächsten Generationen weiterzugeben. Diese Aufgabe kann und wird die freie Wirtschaft niemals übernehmen, denn sie hat ihre eigenen Ziele bei der Betätigung im kulturellen Bereich.
Mehr zu den in diesem Essay angesprochenen Themen

Tanja Bernsau und Ries Roowaan, Kunst im Unternehmen – mehr als nur Dekoration (agenda Verlag: Münster, 2016)