Görings Kurator: Walter Andreas Hofer

Eine Besonderheit des Kulturgüterschutz im Zweiten Weltkrieg war die geheimdienstliche Unterstützung durch die Art Looting Investigation Unit (ALIU), deren Aufgabe das Sammeln und Auswerten von Informationen über den NS-Kunstraub war. Wesentliche Erkenntnisse konnten unter anderem über die Kunstsammlung von Hermann Göring durch diese Kunst-Ermittler erlangt werden, die noch heute in der Provenienzforschung relevant sind.
Walter Andreas Hofer[1] spielte als Direktor der Kunstsammlung von Reichsmarschall Hermann Göring eine besondere Rolle. Er wurde deshalb vom 1. Juni bis zum 15. September 1945 im Interrogation Center in Altaussee von ALIU-Offizier Theodore Rousseau verhört. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind in den Consolidated Interrogation Report No. 2, The Goering Collection, eingegangen. Im Detailed Interrogation Report No. 9 sollte darüber hinaus die persönliche Verstrickung Hofers als Kunstagent für die Nationalsozialisten verdeutlicht werden.
Hofer, geboren 1893 in Berlin, begann seine Ausbildung als Kunsthändler nach seiner Teilnahme als Infanterist am Ersten Weltkrieg. 1928 begann er ein kunstgeschichtliches Studium in Berlin. Seit 1935 war er als selbständiger Kunsthändler in Berlin tätig gewesen.
Es finden sich unterschiedliche Angaben in der Fachliteratur, wie der erste Kontakt zwischen Hofer und Göring zustande kam. Kenneth D. Alford gibt an, dass Hofer im Jahr 1936 ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert über den damaligen Kunstberater Görings, Dr. Binder, an den Reichsmarschall verkaufte und dadurch seine Aufmerksamkeit erlangte.[2] Anderen Quellen zufolge kam der Kontakt 1936 über Hofers Frau zustande, die als Restauratorin bereits für die Göringsche Sammlung tätig war.[3]
Seit 1937 arbeitete Hofer für die Sammlung des Reichsmarschalls. Auch während der ersten fünf Jahre des Zweiten Weltkriegs war Hofer für die Göring-Sammlung tätig. 1944 wurde er zum Kriegsdienst eingezogen, aber als Mitglied des Waffenregiments von Göring dem Standort Carinhall, dem Landsitz Görings zugeteilt. Er war kein Mitglied der NSdAP, was als Mitarbeiter Görings nicht nötig gewesen sei, so seine Aussage im Verhör.
Die ALIU konnte unter anderem durch das Verhör Hofers feststellen, dass Göring im Zentrum des deutschen Kunstraubs stand und auch als wesentlicher Motor dafür wirkte. Er war eine zentrale Figur, die in vielen Aktivitäten in den besetzten Gebieten beteiligt war, um seine Sammlung zu vergrößern. Hofer als sein wichtigster Kunstmitarbeiter war dabei mehr als hilfreich.[4]
Rousseau stellte im Verhör fest, dass Hofer seine ganze Zeit und Energie in die Göring-Sammlung investierte – zuletzt agierte er als „Direktor der Kunstsammlungen des Reichsmarschalls“, einen Titel, den er auch stolz auf Visitenkarte und Briefpapier zeigte. Er war Görings Berater in Kunstfragen und sein aktivster Kunstagent. Dabei handelte er durchaus nicht alleine auf Befehl, sondern agierte auch eigenständig und hatte auch einen gewissen Einfluss auf den Reichsmarschall, was die Kunst anbelangte.
Monuments Man Thomas C. Howe, der Hofer ebenfalls in Altaussee traf, kam nicht umhin, Hofer eine gewisse Genialität zuzusprechen, was die Kunstraubpraktiken anbelangte. So sei auf ihn das System der „Geburtstagsgeschenke“ zurückzuführen. Dabei gelangten Kunstwerke in die Göringsche Sammlung, ohne dass er dafür bezahlen musste. Diese Geschenke stammten von reichen Industriellen und Geschäftsleuten, die von Hofer informiert wurden, dass sie sich auf diese Art der Gunst des Reichsmarschalls versichern können. In der Regel lieferte Hofer dann an diese Geschäftsleute genaue Details zum gewünschten Kunstwerk, bis hin zum Preis des Objektes. Häufig hatte Hofer das Kunstwerk sogar bereits erworben, der potenzielle Schenker musste dann nur noch die Rechnung bezahlen.[5]
Im Verhör versuchte Hofer indes, sich als unabhängiger Kunsthändler ohne engen Kontakt zu Göring zu charakterisieren, eine Rolle, die aber auch durch die Verhöre anderer Akteure schnell widerlegt wurde. Hofer versuchte die Geheimdienstmitarbeiter davon zu überzeugen, dass er Göring nur hinsichtlich dessen „legaler“ Einkäufe beraten habe und von den Aktivitäten des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg nichts gewusst habe. Die ebenfalls befragten Mitarbeiter des ERR Lohse, Borchers und Kress bestätigten jedoch, dass Hofer bei beinahe allen Besuchen Görings im Pariser Jeu de Paume, dem Lagerort für die konfiszierten Kunstgegenstände, zugegen war. Es ließ sich sogar nachweisen, dass er alleine zum Jeu de Paume kam, um die konfiszierten Gemälde aus der Paul Rosenberg-Sammlung auszuwählen, um sie für den Tausch mit für ihn wertvolleren Gemälden zu verwenden. Laut Alford war es Hofer, der Göring dazu überredete, die beschlagnahmten jüdischen Sammlungen in Frankreich zu erwerben. Er machte den Reichsmarschall unter anderem auf die Rothschildsche Juwelen-Sammlung aufmerksam.[6]
Ebenso war Hofer allein dafür verantwortlich, die impressionistischen Gemälde aus den ERR-Konfiszierungen, die nach Schloss Neuschwanstein gebracht worden waren, für einen Tausch mit dem Auktionshaus Fischer, Luzern, auszuwählen. Er war nicht nur involviert in die Konfiszierungen, sondern handelte durchaus auch auf eigene Initiative, wenn es darum ging, Kunstwerke für seinen Auftraggeber zu bekommen.
„Hofer played his master shrewdly. He insisted on maintaining his independent dealer status even after being appointed director of the Göring Collection. Refusing a salary, he worked wholly on commission and, as Göring’s official buyer, brought to bear the manifold advantages of power and backing which his position implied. (…) he had facilities for travel, for foreign exchange, and for promising ‚official protection‘ to certain selected victims of Nazi persecution, in return for which he received purchase rights to their works of art.“[7]
In den besetzten Gebieten waren es aber nicht nur Beschlagnahmen, sondern auch Ankäufe, die die Kunstsammlung Görings erweiterten. Nicht alle dieser Ankäufe waren unter Zwang, nicht wenige Kunsthändler machten gerne gute Geschäfte mit den Nationalsozialisten. Hofer spielte auch bei diesen Geschäftsaktivitäten eine zentrale Rolle und stand mit den meisten Kunsthändlern in engem Kontakt. Im Fall „Goudstikker“[8] war er derjenige, der den Vertragsabschluss unterzeichnete. Briefe Hofers an Göring belegen seine Bemühungen, stets den Preis herunterzuhandeln. Diese Briefe stellten nach Görings und Hofers Festsetzung einen wichtigen Beweis für die Beteiligung Hofers an Kunst-Erwerbungen für die Göring-Sammlung dar. Bemerkenswert ist, dass Hofer dabei – außer seiner Frau – keine Mitarbeiter für die Administration hatte, selbst seine Korrespondenz und Buchhaltung ohne Sekretär erledigte. Dabei kam ihm natürlich zugute, dass er für Transport, Lagerung etc. auf die Infrastruktur von Görings Institutionen[9] zurückgreifen konnte. Gerade gegen Ende des Kriegs wurde dies hilfreich: Göring arrangierte im Frühjahr 1945, dass seine Kunstsammlung aus seinem Landsitz Carinhall in der Nähe von Berlin vor den anrückenden sowjetischen Truppen in Sicherheit gebracht wurde, in dem sie auf zwei Spezialzügen verladen wurde, von denen einer zu Görings Wohnsitz Veldenstein nahe Nürnberg und einer nach Berchtesgaden abfuhr. Mit diesem zweiten Zug kam Hofer ebenfalls nach Berchtesgaden und kümmerte sich vor Ort um die Unterbringung der Kunstgegenstände in Luftschutzräumen.[10]
Anders als andere NS-Kunstraub-Mitarbeiter zeichnete sich Hofer nicht dadurch aus, vor seiner Tätigkeit für die Göring-Sammlung in der Kunstwelt gut vernetzt gewesen zu sein. Im Gegenteil, Hofer war zuvor als Händler vergleichsweise unbekannt. Für seine Aktivitäten musste er jedoch mit anderen Kunsthändlern in Kontakt treten.[11] International hatte er einige Geschäftskontakte, die ihm als Übersetzer (er sprach außer ein wenig Holländisch und Englisch keine Fremdsprache verhandlungssicher) und auch als Marktbeobachter behilflich waren. Besonders hervorzuheben sind Hans Wendland und Theodor Fischer. Wendland war Hofers bevorzugter Kontakt in der Schweiz, wo er wiederum eng mit dem Luzerner Auktionator Theodor Fischer zusammenarbeitete. Beide, Wendland und Fischer, agierten als Vermittler für Kunstankäufe für die Göring-Sammlung hauptsächlich in der französischsprachigen Schweiz.
Rousseau kam in seinen Untersuchungen abschließend zu dem Urteil, dass Hofer in den Kunstraub-Aktivitäten als ebenso schuldig wie Göring selbst anzusehen sei. Er empfahl, Hofer als Belastungszeugen in den Nürnberger Prozessen einzusetzen und ihn ebenfalls als Kriegsverbrecher anzuklagen.
Der Report fasst die Erkenntnisse über Hofer wie folgt zusammen:
„In short: his insincerity and dishonesty have been so consistently shameless that in a man of different character they would have been insulting to the intelligence of his interrogators. However, in his case they simply prove once more that HOFER was a small-time crock and hanger-on of another somewhat but not much bigger gangster, the Reichsmarschall.“[12]
[1] Die Informationen zu Walter Andreas Hofer entstammen, soweit nicht anderweitig vermerkt, aus dem Detailed Interrogation Report No. 9, vom 15. September 1945 von Theodor Rousseau.
[2] Vgl. Alford, Kenneth D.: Hermann Göring and the Nazi Art Collection. The Looting of Europe’s Art Treasures and Their Dispersal After World War II, London 2012, S. 19.
[3] Vgl. Yeide, Nancy: Beyond the Dreams of Avarice. The Hermann Goering Collection, Dallas 2009, S. 11.
[4] Vgl. Plaut, James: Loot for the Master Race, in: The Atlantic Monthly, September 1946, Vol. 178, No. 9, o.S.
[5] Vgl. Howe, Thomas C. Salt Mines and Castles. The discovery and restitution of looted European Art, Indianapolis, New York 1946, S. 132.
[6] Vgl. Alford, 2012, S. 21.
[7] Plaut, 1946, o.S.
[8] Jacques Goudstikker, ein jüdischer Kunsthändler aus Amsterdam, sah sich nach der deutschen Invasion in Holland gezwungen, das Land zu verlassen. Unter unglücklichen Umständen starb er 1940 an Bord des Schiffes nach England. Die deutsche „Treuhand AG“ in Den Haag hatte die Verwaltung der damals 1.300 Gemälde umfassenden Kunsthandlung Goudstikkers übernommen und verkaufte sie, über Alois Miedl, an Hermann Göring; vgl. Hamlin, Gladys E.: European Art Collections and the War, in: College Art Journal, Vol. 4, No. 3 (Mar. 1945), S. 155-163 , S. 160 sowie Eintrag zu Jacques Goudstikker auf Lostart.
[9] Als Chef der Luftwaffe und Verteidigungsminister hatte Göring leichten Zugriff auf Transportmittel wie die Eisenbahn, was es ihm unter anderem ermöglichte, auch gegen Kriegsende, als eigentlich andere Prioritäten galten, Eisenbahnwaggons der Reichsbahn zu nutzen, um seine Kunstsammlung in Sicherheit zu bringen.
[10] Vgl. Yeide, Nancy: The Plunder of Art as a War Crime: The Art Looting Investigation Unit Reports and the Hermann Goering Art Collection, in: Rudgers Journal of Law and Religion, Vol. 8.2, Spring 2007, S. 1-8, S. 6f.
[11] Eine detaillierte Aufstellung aller bekannten Kontakte und Erwerbungen Hofers findet sich im Anhang des DIR No. 9.
[12] DIR No. 9 Walter Andreas Hofer, S. 9.