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„Er hatte so gar nichts Militärisches an sich“ – Spurensuche nach Walker Hancock in Marburg

Am Freitag konnte ich die Gelegenheit wahrnehmen, mit den Studenten aus meiner Lehrveranstaltung an der Uni Gießen einen Ausflug ins benachbarte Marburg zu machen, um dort die Gebäude des ehemaligen Central Collecting Points zu besichtigen. Möglich gemacht wurde dies durch Marco Rasch, zurzeit tätig im Archiv der deutschen Jugendbewegung auf der Burg Ludwigstein, einer Außenstelle des Marburger Staatsarchivs, und einer der wenigen Menschen, der mit der Geschichte der Marburger Kunstsammelstelle vertraut ist.

Da der Central Collecting Point seinen Hauptsitz in den Räumen des heutigen Hauptstaatsarchivs hatte, trafen wir uns dort zunächst im Landgrafensaal, um von Herrn Murk eine Einführung in die Geschichte des Hauses, seiner Sammlungsbestände und seiner Aufgaben zu erhalten. Daran schloss sich eine Einführung von Marco Rasch über die spannende Rolle des Gebäudes gegen Ende des Zweiten Weltkriegs an, die er mit Bildmaterial aus den Beständen von Foto Marburg anschaulich illustrieren konnte.

Vom Archiv zum Central Collecting Point

Das Gebäude – damals noch am „Adolf-Hitler-Platz“ – wurde 1938 als Archivgebäude bezogen – damals ’state of the art‘, was die Ausstattung der Magazine anbelangte. Einiges erinnert noch heute an die Errichtung während der NS-Zeit: Die Hitlerbüste über dem Eingang zum Landgrafensaal ist zwar in der Zwischenzeit durch eine Minerva ersetzt worden, aber im Innenhof sieht man immer noch den Reichsadler und auch die Mäander nach griechischem Vorbild im Treppenhaus zeugen vom Stil der NS-Baukunst. Während des Krieges hatte es lediglich einen Bombentreffer auf das Gebäude gegeben, der das mit Hakenkreuz-Gravuren versehene Oberlicht im Treppenhaus zerstörte. Ansonsten hatte das Gebäude den Krieg unbeschadet überstanden, die Bestände waren sicherheitshalber jedoch ausgelagert worden.


Monuments Man Walker Hancock war es, der sich dafür entschied, in der Stadt einen Collecting Point zu errichten. Ausgangspunkt waren die in der Kupfermine Siegen aufgefunden Kunstschätze, die es einzulagern galt. Das Archivgebäude galt als feuerfest, zudem war die Stadt bereits seit 28. März 1945 in den Händen der Amerikaner. Eine besondere Bedeutung für die Wahl der Stadt Marburg ist sicherlich auch in der Person Richard Hamanns zu finden, Kunstgeschichtsprofessor an der Universität wie auch Leiter des Bildarchivs „Foto Marburg“. Eine für beide Seiten interessante Verbindung: Hamann, wenngleich nicht unumstritten, hatte gute Beziehungen zu Amerika (er stand in engem Kontakt mit Paul Sachs, einem der Initiator für die amerikanischen Kunstschutzbemühungen) und hatte es damit auf eine „weiße Liste“ von deutschem Personal geschafft, mit denen die Allierten nach dem Kriege zusammenarbeiten wollten. Zudem hatte er in seiner Zusammenarbeit mit Bernhard Tieschowitz („Kunstschutz„) in der fotografischen Aufnahme der Kriegsschäden in Frankreich sein Engagement für den Kulturgüterschutz bewiesen. Auch die Nähe zu Foto Marburg war für Hancock nicht uninteressiert: Bedacht darauf, seine Arbeit umfangreich zu dokumentieren, ließ er nicht nur die eingelagerten Objekte fotografieren, sondern es entstanden auch zahlreiche Fotografien über die Arbeit in der Kunstsammelstelle, die man sich heute bei Foto Marburg ansehen kann.

Gleichermaßen war auch Hamann um die Kooperation mit den Alliierten bemüht, bot sich ihm doch die Gelegenheit, seinen Bildbestand mit Fotos aus dem Collecting Point wesentlich aufzustocken.

Hancock stellte am 8. Mai 1945 das Gebäude des Archivs „Off Limits“, am Tag darauf treffen die ersten Kunstwerke aus der Mine Bernterode in Marburg ein.

 

Erste Aufgaben

Zu den ersten Aufgaben Hancocks gehörte es, das Gebäude für die Einlagerung von Kunstwerken einzurichten.

Ursprünglich errichtet für Akten (wie man es auch heute noch verwendet), waren die Regale für die weitaus größeren Kunstwerke zu klein – einige Böden mussten entfernt werden. Die Kunstwerke trafen im Collecting Point ein, wurden ausgepackt, auf sogenannten Property Cards inventarisiert, fotografisch dokumentiert und ggf. restauratorisch betreut. Eine enorme Aufgabe, wenn man bedenkt, dass all die eingelagerten Kunstwerke auch an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden sollten.

Und von Anfang an war das Personal knapp. Zahlreiche der deutschen Mitarbeiter mussten schon bald den CCP wieder verlassen, als sich herausstellte, dass sie durch ihren Beruf in der NS-Zeit belastet waren. Auch deshalb war die Nähe zum Kunstgeschichtlichen Institut für den CCP von Bedeutung, da er von dort wertvolle personelle Unterstützung beziehen konnte.

Ein Zeitzeuge berichtet

Ein besonderes Highlight unserer Führung war die Anwesenheit von Karlheinz Schade (*1930): Herr Schade war 1945 einer von vier Schülerhelfern im Collecting Point und konnte uns einige persönliche Erlebnisse aus seiner Zeit Walker Hancock schildern. Gemeinsam mit seinem Freund Walter Otto erfuhr er kurz nach der Errichtung des CCPs davon, dass dort Helfer gesucht seinen, man sich dort etwas dazu verdienen könne, und – noch viel wichtiger in der Nachkriegszeit – dass die Jungen auch in der Army-Messe essen dürften. Zu ihren Aufgaben gehörte die Mithilfe beim Verglasen der zerstörten Fensterscheiben, hauptsächlich aber halfen sie bei Entladen, Transportieren und Auspacken der zusammengetragenen Kunstgegenstände. Seine Erinnerungen an den CCP-Direktor Walker Hancock glichen mehr denen an einen väterlichen Freund denn als an einen feindlichen Besatzer, den er hätte „so gar nichts Militärisches an sich“ gehabt. Eigentlich machte er sich nicht viel aus Kunst, erzählte Schade, aber es war dann doch spannend gewesen, die vielen verschiedenen Kunstwerke in den Händen halten zu können. So erinnert er sich lebhaft daran, die Tabakdosensammlung Friedrichs des Großen in der Hand gehabt zu haben oder auch dessen erste Schreibhefte, mit Strichmännchen am Rande versehen.

Operation Bodysnatch

Sarg Friedrichs des Großen in Bernterode (Quelle: Walker Hancock Collection)

Nicht nur die Tabakdosensammlung Friedrich des Großen war im Marburger CCP eingelagert. Zu den wohl skurrilsten Beständen der Sammelstelle gehörten die Särge mit den Leichnamen von Friedrich dem Großen, Friedrich Wilhelm I. von Preußen sowie von Reichspräsident Paul von Hindenburg und seiner Frau, die gemeinsam mit einer Reihe von historischen Fahnen und Standarten in Bernterode ausgelagert gewesen waren. Unter strengster Geheimhaltung wurden die Särge der beiden Könige am 21. August 1946 in der Marburger Elisabethkirche in Anwesenheit von Mitgliedern der Hohenzollernfamilie beigesetzt. Schades Vater, Regierungsbauamtmann Christian Schade, hatte zuvor die Gruft baulich vorbereitet. Am 25. August folgte dort auch die Beisetzung der Hindenburgs.

Meisterwerke der Europäischen Malerei

Wie auch in Wiesbaden hatte der Collecting Point zwar die Aufgabe, die eingelagerten Kunstwerke an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben, aber das war kein leichtes Unterfangen. Und so nutzte man auch in Marburg die Gelegenheit, mit den eingelagerten Beständen Ausstellungen zu veranstalten, die der Bevölkerung vor Ort die Meisterwerke europäischer Kunst nahe brachte, woran sich auch Herr Schade gerne zurückerinnert.

Unsere Exkursion war eine schöne Gelegenheit, die historischen Stätten des Marburger Collecting Points – dank der fachkundigen Führung von Marco Rasch und dem Zeitzeugenbericht von Karlheinz Schade – zu erforschen. Mich hat es sehr fasziniert, diese Räumlichkeiten kennen zu lernen. Ich werde sicherlich weiter darüber berichten!