Die Herkunft der Bilder – Provenienzforschung auch für Kunstsammlungen in Unternehmen
Jedes Bild, jedes Kunstwerk erzählt eine Geschichte. Nicht nur die, die auf ihm darstellt wird, sondern auch die seines Weges durch die Geschichte. Wem hat es gehört? Wer hat es wann erworben, und wozu? In welchen Räumen hat es gehangen? Wo war es ausgestellt? Wer hat es gesehen, wer darüber geschrieben? Wem wurde es geschenkt und aus welchem Anlass? Es leistet einen Beitrag dazu, Geschichte und Geschichten zu rekonstruieren. Als Kunstdetektivin erforsche und erzähle ich diese Geschichten.
Von besonderem Interesse sind für mich Kunstwerke, die während des Dritten Reichs ihren Eigentümern enteignet wurden. Auch 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zeigt sich, dass die Geschichte bei weitem nicht abgeschlossen ist. Vor allem im Bereich der sogenannten NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunst, also Kunstwerke, die zwischen 1933-1945 von ihren meist jüdischen Besitzern „erworben“ wurden, gibt es bis heute Handlungsbedarf. Nicht nur Museen sind betroffen, auch Bibliotheken, private Sammlungen, der Kunstmarkt, Unternehmen. Diese Provenienzforschung ist das Thema meiner Arbeit.
Provenienzforschung für Raub- und Beutekunst des Dritten Reichs
Die Problematik der NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kunst (NS-Beutekunst), die vor allem jüdische Kunstsammler betraf, wie auch der Raubkunst, die Aneignung von Kunst-werken in den von Deutschland besetzten Gebieten, wirft bis heute Fragen auf. Betroffen sind dabei nicht nur die Meisterwerke der Kunst, obwohl diese in den Medien besonders gerne aufgegriffen werden. Neben den Gemälden sind auch die unzähligen und bei weitem nicht so leicht zuzuordnende Druckgraphiken, Bibliotheksbestände, Skulpturen, Teppiche, antike Möbel, Porzellan, Schmuck oder Judaica betroffen.
Nicht zuletzt hat die Debatte um den Fall Gurlitt gezeigt, dass das Thema noch lange nicht ausreichend erforscht ist. Die Datenbank „Lost Art“ des „Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste listet zahllose Suchmeldungen auf, Kunstwerke meist jüdischer Herkunft, die seit der NS-Zeit verschollen sind. Noch immer erwarten die Museen Rückforderungsanträge auf Kunstwerke, die den Eltern und Großeltern der Antragsteller in der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogen wurden. Die ehemaligen Eigentümer wurden zu Opfern des Holocausts, ihre Besitztümer kamen auf mehr oder weniger direkten Weg in Museen, in den Kunsthandel und in Privatsammlungen. Gleichzeitig gibt es bei „Lost Art“ auch Fundmeldungen von Kunstwerken, von denen man zwar weiß, dass sie Raub- und Beutekunst sind, aber zu denen (noch) kein Erbe gefunden werden konnte.
Provenienzforschung für die Erwerbsumstände zwischen 1933 und 1945 hat lange Zeit keine Rolle in der deutschen, aber auch der internationalen Kunstlandschaft gespielt. Erst spät, mit der Washingtoner Erklärung im Jahr 1998, nahm man sich auf internationalem Parkett dieses Themas wieder an. Damals kamen 44 Vertreter verschiedener Staaten in Washington zusammen, um darüber zu beraten, wie man das damals begangene Unrecht heute wiedergutmachen könne. Denn formal-juristisch sind in den wenigsten Fällen nach so langer Zeit noch Ansprüche auf Herausgabe geltend zu machen. Deshalb verpflichteten sich diese 44 Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, dazu, die staatseigenen Museumsbestände zu überprüfen und die Forschungsergebnisse transparent zu machen, um für alle Beteiligten eine „faire und gerechte Lösung“, so die Formulierung der Washington Principles, zu erreichen.
Zunächst schleppend startete daraufhin die Provenienzforschung in Deutschland, indem einige wenige Stellen an den Museen etabliert wurden, finanziell gefördert durch Bundes-mittel und zunehmend auch inhaltlich unterstützt durch etwa die „Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste“ (im Januar 2015 aufgegangen im „Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste“) mit der Lost Art-Datenbank, der „Arbeitsstelle für Provenienzforschung“ oder einzelnen Institutionen wie der „Forschungsstelle für Entartete Kunst“ der FU Berlin. Immer wieder konnten in der Folgezeit einzelne Kunstwerke an Erben der jüdischen Opfer zurückgegeben werden. Die Rückforderungsanträge, vor allem aber die, über die lange und intensiv verhandelt wurde, werden von einem großen Medienandrang begleitet. Die moralische Verpflichtung zur Herausgabe wird immer wieder gefordert, auch wenn das Museum selbst das Unrecht gar nicht begangenen hat und vielleicht selbst teures Geld für die Erwerbung bezahlt hat.
Immer mehr Museen beschäftigen heute hauptamtliche Provenienzforscher, die für einzelne Sammlungsstücke prüfen, wann und wie sie in den Museumsbestand gelangt sind. So konnte es einzelnen Museen gelingen, zumindest einen Teil ihrer Sammlung hinsichtlich der Erwerbsumstände während der NS-Zeit zu untersuchen und auch schon zahlreiche Restitutionsfälle einzuleiten. Der Fall Gurlitt, der ja besonders heiß öffentlich – und zwar weltweit – debattiert wurde, macht deutlich, wie unsicher die Rechtslage ist – und auch wie brisant dieses Thema ist. Hier war eine Privatsammlung betroffen. Die Regelungen der Washingtoner Erklärungen griffen also nicht. Lediglich auf freiwilliger Basis hatte Herr Gurlitt der eingehenden Untersuchung seiner Sammlung zugestimmt, eine rechtliche Verpflichtung dazu hatte nicht bestanden. Besonders bemerkenswert ist die öffentliche Empörung in Anbetracht der Verhältnismäßigkeit: Hunderte Kunstwerke hatte der NS-Kunsthändler Hildebrand Gurlitt seinem Sohn hinterlassen, für weniger als ein halbes Dutzend davon wurden Restitutionsanträge gestellt, nur ein Kunstwerk musste bislang als nicht rechtmäßig erworben zurückgegeben werden. Von einem großen Fund an Nazibeutekunst kann hier absolut nicht die Rede sein. Aber es hat gereicht, die Medien bald zwei Jahre lang zu beschäftigen. Von den vielen politischen und fachlichen Diskursen, Tagungen, Symposien, Artikeln und Publikationen in der Fachpresse über die „Causa Gurlitt“ ganz zu schweigen.
Auch Unternehmenssammlungen betroffen
Genauso wie private Sammler können auch Unternehmen von dieser Thematik betroffen sein. Und das betrifft nicht nur die Firmen, die bereits damals existiert haben, sondern durchaus auch jüngere Betriebe. Denn ein Kunstwerk kann durch mehrere Hände gegangen sein und trotzdem den Makel der Beutekunst aufweisen. So ist es durchaus denkbar, dass man guten Gewissens vor wenigen Jahren ein Kunstwerk in einem Auktionshaus erworben hat und sieht sich nun unversehens einem Rückforderungsantrag gegenüber. Auch hier gilt: Rechtlich ist dies meist kein Thema. Das Geld, das für den Kunstkauf aufgewendet wurde, muss deshalb nicht abgeschrieben werden. Sich deshalb schlichtweg zu weigern, über diesen Fall zu sprechen, könnte jedoch fatale Folgen für das Unternehmensimage mit sich bringen. Dem kann man durch einen offenen Umgang mit der Thematik entgegenwirken. Besser ist jedoch, bereits vor einem möglichen Restitutionsfall die Sammlung auf ihre Herkunftsgeschichte zu überprüfen. Ein Unternehmen hat ein Interesse daran, seine Aktivitäten auf dem Kultursektor auch imagefördernd einzusetzen. Vor allem die Kunstsammlung soll dazu beitragen. Ist die lückenlose Provenienz der Kunstwerke geklärt, ist nicht nur Sicherheit vor möglichen Rückforderungen gewonnen. Eine Positionierung als Unternehmen, das seine Sammlung proaktiv untersucht, ist immer noch eine Ausnahme in der deutschen Wirtschaft und kann auch Teil der Marketing-Maßnahmen werden.