Captain Walter Farmer – Wiesbadens erster CCP-Direktor
Fast auf den Tag genau vor 69 Jahren, an einem heißen Frühsommertag des Jahres 1945, kam ein junger Soldat aus Ohio nach Frankfurt – unwissend, dass er einmal eine bedeutende Rolle für die deutschen Kunstschätze werden wird, aber mit dem ehrenwerten Ziel, sich für ihren Erhalt einzusetzen: Walter Ings Farmer.
Geboren 1911 in Ohio trat Farmer 1942 nach einem Universitätsstudium zum Architekten an der Columbia University (New York) und der Miami University (Ohio) in die US-Armee ein. Er erhielt seine militärische Ausbildung im Ft. Thomas (Kentucky) und konnte sich dank seines Ingenieurs-Hintergrund im Spätherbst 1942 im Brückenbau weiterbilden lassen. 1943 erhielt er seinen Einsatzbefehl für Übersee, zunächst nach England, wo er am 9. November 1943 in Liverpool ankam. Als Architekt war Farmer dort am Aufbau von militärischen Lagern beteiligt. Im Frühjahr 1944 wurde Farmer bei einem Unfall mit seinem Jeep verletzt und musste mehrere Monate Gips tragen. Während seiner Dienstunfähigkeit vertrieb er sich die Zeit mit dem Besuch der örtlichen Buch- und Antiquitätenhändler. Mit der Invasion in Frankreich 1944 folgte Farmer den Truppen aufs Festland, wo er unter anderem für die Wiederherstellung von Kanal- und Straßensystemen der zerstörten Städte zuständig war. In den folgenden Monaten erfuhr er von der Arbeit der Monuments, Fine Arts & Archives-Section, die ihn sehr interessierte. Sein Regiment unterstand der 12. Armee, die ihren Hauptsitz in Frankfurt hatte, so dass ihn seine Arbeit gelegentlich auch ins Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force (SHAEF) führte, dem die MFA&A angegliedert war. Farmer sollte ursprünglich bereits im Juni 1945 in die Staaten zurückkehren, sprach aber beim SHAEF-Büro in Frankfurt vor und bat den britischen Colonel Geoffrey Webb und den amerikanischen Lieutenant Charles Kuhn um eine weitere Beschäftigung für die MFA&A. Im Vorstellungsgespräch mit diesen beiden Herren erkannte Farmer, dass er seine mangelnde kunsthistorische Ausbildung durch seine Kenntnisse des Militärwesens wettmachen konnte:
„Langsam wurde mir klar, dass ich diesen brillanten Harvardabsolventen und Direktor des dortigen Germanic Art Museum im Rang übertraf und viel mehr als er darüber wusste, wie die Armee funktionierte. Lt. Kuhn suchte nach jemandem, der ein früheres Museum in Wiesbaden wieder aufbauen könnte, das bis vor kurzem als Hauptquartier der westlichen Abteilung der Luftwaffe gedient hatte.“ (Farmer (2002): Die Bewahrer des Erbes, S. 27)
Was Farmer nicht wissen konnte: Er kam den Herren Kuhn und Webb zur rechten Zeit. Im Frankfurter MFA&A-Büro war man nämlich gerade damit beschäftigt, eine Bleibe für die Kunstwerke zu finden, die man im Salzbergwerk Merkers geborgen hatte und die nun seit einigen Wochen eine unzureichende Unterkunft im Gebäude der Frankfurter Reichsbank gefunden hatten. Die Wahl für den sogenannten Central Collecting Point, der später nicht nur die Kunstwerke aus Merkers bergen sollte, sondern auch die ausgelagerten Kunstschätze anderer nahe gelegener Museen, fiel auf das Gebäudes des heutigen Landesmuseums Wiesbaden. Das Gebäude, das während des Krieges als Maschinenlager der Luftwaffe gedient hatte, war bereits von den Amerikanern in Beschlag genommen worden. Es war von den Bombenangriffen auf die Stadt weitgehend verschont gewesen, aber auch an diesem Gebäude waren das Dach beschädigt und kaum noch ein Fenster verglast. Aufgrund seines beruflichen Hintergrunds war Farmer prädestiniert für die Aufgabe, dieses Gebäude instand zusetzen. Und er macht sich mit Feuereifer an die Arbeit. Es gelang ihm auch mit viel Geschick – in Zeiten kriegsbedingter Knappheit – Fensterscheiben aufzutreiben und einbauen zu lassen, Reparaturen am Dach vorzunehmen und mit Stacheldrahtzaun um das Gebäude für die Sicherheit der Inhalte zu sorgen.
Walter Farmer beim Sichten des CCP-Bestands (Bildquelle: 3Sat)Am 19. Juni 1945 wurde Farmer offiziell der Monuments, Fine Arts & Archives-Commission for the Protection and Salvage of Artistic and Historic Monuments in War Areas des US-Außenministeriums überstellt, deren Mitglied er bis 1946 blieb. Seit der Gründung des Wiesbadener CCPs im Sommer 1945 bis März 1946 war er als dessen Direktor tätig.
Bereits im Juli 1945 trafen die ersten Kunstwerke ein, die aus dem Wallraf-Richartz-Museum Köln stammten, und ab August dann auch die Kunstwerke aus Merkers, in 57 LKW-Ladungen, Werke, die sich vor dem Krieg in der Berliner Gemäldegalerie befunden hatten, im Kunstgewerbe-Museum, der Ägyptischen Abteilung, dem Kupferstichkabinett, dem Museum für Völkerkunde etc.
Tatkräftig unterstützt wurde Farmer von weiteren Kunstschutzoffizieren, wie Kenneth Lindsay oder Edith Standen, aber auch von einem Team deutscher Mitarbeiter, die ihm beim Einlagern, Inventarisieren und später bei der Restitution halfen. Eine wichtige Stütze wurde ihm seine Dolmetscherin Renate Hobirk, da er die deutsche Sprache nicht beherrschte. Sie hatte in der Schweiz Sprachen studierte und sprach fließend Englisch und Französisch. Sie kam Anfang Juli 1945 aus Berlin und erhielt über das örtliche Arbeitsamt Kenntnis von der offenen Übersetzerstelle im Museum Wiesbaden. Dort übernahm sie die Leitung der Verwaltung für Walter Farmer und bezog im Museum die Wohnung des Hausmeisters.
Farmer hatte den Central Collecting Point zum Laufen gebracht. Seit dem Sommer 1945 treffen Kunstwerke aus deutschen Sammlungen ein, die allesamt kriegsbedingt ausgelagert waren. Er schreibt an seine Frau in den Vereinigten Staaten:
„Wir bauen eine neue Welt und wollen, was gut ist, aus der alten hinüberretten. (…) Nichts darf meine Arbeit aufhalten. Ich bin ständig auf den Beinen, und trotzdem kommt es mir vor, als ginge es nur im Schneckentempo voran.“
Aber dann geschieht etwas, mit dem Direktor Farmer nicht gerechnet hat und was seine Auffassung von Kulturgüterschutz zuwiderläuft. Farmer erhält den Befehl zum Abtransport von 200 Kunstwerken in die Vereinigten Staaten von Amerika – westward ho! Farmer ist erstaunt – hatte er doch alle Anstrengungen unternommen, um die eingelagerten Kunstwerke in Wiesbaden bestmöglich, mit nachkriegsbedingten Einschränkungen, unterzubringen. Sollte da eine Beutekunst-Absicht dahinter stehen? Wollten die Amerikaner deutsche Kunstwerke als Reparationszahlungen in die USA bringen? Waren diese 200 Kunstwerke nur der Anfang von einem Beutekunstzug größeren Stils?
Walter Farmer bestellte noch für den nächsten Tag die in Europa stationierten Kunstschutzoffiziere nach Wiesbaden. Gemeinsam verfassten sie ein Papier, das als „Wiesbadener Manifest“ in die Geschichte eingegangen ist (detaillierter hier beschrieben)
Walter Farmer im Wiesbadener CCP (c) journal-news.comDen Abtransport der 202 Kunstwerke in die Vereinigten Staaten hat das Wiesbadener Manifest nicht verhindern können. Es war jedoch die Initialzündung für eine enorme Protestwelle in der amerikanischen Öffentlichkeit, die in einer Petition an Präsident Truman gipfelte. Unter dem öffentlichen Druck musste die US-Regierung schlussendlich einlenken und die Kunstwerke nach Deutschland zurückschicken. Weitere Abtransporte aus den Central Collecting Points hat es nicht gegeben. Eine beispiellose Aktion: Amerikanische Soldaten und Zivilisten setzten sich nicht nur für den Erhalt von Kunstwerken ein, sondern sie sorgten sich auch darum, dass es für die Nation, der es gehörte, erhalten blieb. Für seine Leistungen für das deutsche Kulturerbe wurde Walter Farmer 1995 mit dem Großen Verdienstkreuz ausgezeichnet.
Zurückgekehrt in die Vereinigten Staaten heiratete Farmer im Jahr 1947 in zweiter Ehe seine ehemalige CCP-Mitarbeiterin Renate Hobirk. Das Paar hat eine Tochter (Margaret Cornelia, geb. 1949) und ließ sich 1966 scheiden. Farmer betrieb als Designer und Inhaber von 1949 bis zu seinem Tod das Unternehmen Greenwich House Interiors in Cincinnati, Ohio. Er gründete in den 1940er Jahren das Contemporary Art Museum in Houston, Texas, und war von 1950-1967 Dozent an der University of Cincinnati, Ohio. Im Jahre 1978 gründete Farmer das Miami University Art Museum in Oxford, Ohio. Er starb im Jahre 1997.
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