Beutekunst – damals und heute
Der Raub von Kunstwerken während eines Krieges ist so alt wie die Geschichte des Krieges selbst. Nicht erst seit Napoleons legendären Beutezügen durch Europas Schatzkammern wurden Kulturgüter geraubt und verschleppt – und die Geschichte reicht bis in die Gegenwart zu den Plünderungen in den syrischen Krisengebieten, auch wenn dies laut internationalen Konventionen längst nicht mehr zulässig ist. Um die vielfältigen Gründe für Beutekunst soll es in diesem Vortrag gehen: von der eigenen Bereicherung über die finanzielle Schwächung des Gegners, Propaganda bis hin zur Zerstörung der kulturellen Identität des Feindes.
Krieg und Kunst
In der Bildenden Kunst, vor allem in älteren Bildwerken wird Krieg häufig sehr idealisierend, heroisierend vermittelt. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein Krieg Zerstörung, Tod und Chaos im Gepäck hat. Ganz gleich, welches Kriegsziel im Vordergrund stehen mag: Nach einem Krieg ist nichts mehr so wie es war. Und in der Regel gibt es mehr als einen Verlierer in diesem Spiel.
Neben dem Schäden, die der Mensch an Leib und Leben dabei nimmt, sind auch materielle Schäden zu beklagen: Zerbombte Städte, Straßen, Brücken und Industrieanlagen – der Feind hat dafür gesorgt, dass der Gegner nachhaltig geschädigt wird. Zerstört man die Infrastruktur, das Straßennetz und so weiter, schneidet man dem Feind den Weg ab und kappt seine Versorgung mit Lebensmitteln und Munition. Attackiert man Industrieanlagen, schädigt man seine Wirtschaftskraft, sowohl während des Krieges, aber auch für die Nachkriegszeit und den Wiederaufbau. Greift man darüber hinaus die Kulturgegenstände an, so greift man die kulturelle Identität einer Nation, ihr nationales Kulturerbe, an – und kann damit die vielleicht nachhaltigsten Schäden bewirken.
Beutekunst
Beutekunst – dieses Thema ist so alt wie die Kriegsführung selbst. Legendär ist etwa der Sacco di Roma, die Plünderung Roms aus dem Jahr 1527 durch Söldnerheere, bei dem rund 90 Prozent der Kunstschätze der Stadt geraubt wurden – ausgelöst dadurch, dass die Krieger ihren Sold nicht erhalten hatten. Ebenso legendär sind die Plünderungen im 30jährigen Krieg, bei der ebenfalls unzählige Kunstwerke ihren Besitzer gewechselt haben. Hier kann man aber noch überwiegend davon ausgehen, dass die eigene Bereicherung und der wirtschaftliche Schädigung des Gegners im Vordergrund stand.
Wesentlich mehr Symbolgehalt bekommen etwa die Plünderungen, die Napoleon Bonaparte auf seine Eroberungen in Europa machte. Eigenmächtige Requisitionen der napoleonischen Soldaten oder die gewaltsame Aneignung von Wertgegenständen durch durchziehende französische Truppen sind in vielen zeitgenössischen Berichten überliefert. Die Grande Armée folgte dem Beispiel ihres Oberfeldherrn Napoleon Bonaparte, der in zeitgenössischen Karikaturen auch als größter Dieb Europas geschmäht wurde. Auf Anweisung Napoleons wurde eine Vielzahl von Kunstwerken als Kriegsbeute nach Frankreich geschafft. Der Louvre und einige andere bedeutende französische Museen besitzen noch heute große Mengen damals erbeuteter Kunstwerke.
Sein aber wohl symbolträchtigster Coup war der Raub der Quadriga vom Brandenburger Tor.
Im Jahr 1806 wurde die Quadriga nach der für Preußen verlorenen Schlacht bei Jena und Auerstedt auf Weisung des französischen Kaisers Napoleon nach Paris gebracht. Dort sollte die Plastik zusammen mit anderer Beutekunst ausgestellt werden. Das Brandenburger Tor stand verwaist dar.
Aber schon wenige Jahre später konnte das Symbol der preußischen Hauptstadt wieder nach Hause kommen. Nach dem alliierten Sieg über Napoleon wurde die Quadriga 1814 von den Truppen Blüchers in Paris noch in Kisten verpackt gefunden und nach Berlin zurückgebracht, wo sie zunächst restauriert wurde. Schinkel ersetzte die Lorbeerkranztrophäe der Schadow’schen Wagenlenkerin durch ein eichenlaubumkränztes und vom preußischen Königsadler bekröntes Eisernes Kreuz und verwandelte so die Friedensbringerin in die Siegesgöttin Viktoria, um die Rückkehr der nach Paris verschleppten Plastik nach Berlin und den Sieg über die napoleonischen Truppen zu feiern. Das Brandenburger Tor wurde damit zu einem nationalen Symbol für Preußen, die Rückkehr symbolisierte den Triumph über den Unterdrücker Napoleon, wie schon die Wegnahme einen Sieg über Preußen verbildlichte.
Die Haager Landkriegsordnung
Auch in den darauffolgenden Kriegen wird Kunstbeute eine wichtige Rolle spielen, auch wenn immer mehr Einwände gegen diese Kriegspraktik erhoben werden. Das mag großangelegte Kunstraubzüge im Zaum halten, aber wird niemals den einfachen Soldaten vor der Mitnahme von Trophäen abhalten. Seit 1899 regelt ein völkerrechtlicher Vertrag, die sogenannte Haager Landkriegsordnung, den Umgang mit Beutekunst im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung – und ist klar dagegen. Diese völkerrechtliche Regelung wird in den folgenden Jahren noch weiterentwickelt.
Darin ist unmissverständlich der Kulturgüterschutz geregelt:
- Unverteidigte Städte, Dörfer, Wohnungen oder Gebäude dürfen nicht angegriffen werden (Artikel 25).
- Bei Belagerungen und Angriffen sind religiöse und wissenschaftliche Einrichtungen sowie Gebäude, die der Kunst oder der Wohltätigkeit dienen, ebenso wie historische Denkmäler und Krankenhäuser, so weit wie möglich zu schonen (Artikel 27).
- Die Belagerten sind verpflichtet, solche Einrichtungen entsprechend zu kennzeichnen. Städte und Siedlungen dürfen nicht geplündert werden (Artikel 28).
Die HLKO wurde jedoch in dem bald darauf beginnenden Ersten Weltkrieg wenig beachtet. Zum einen wurden im Zuge der Kriegshandlungen zahlreiche Kulturstätten zerstört, aber auch Plünderungen von Kunstwerken waren an der Tagesordnung. Im Siegervertrag von Versailles wurden diese Untaten thematisiert und führten dazu, dass Kunstwerke zu Reparationszwecken, als Wiedergutmachung bzw. Schadensersatz für zerstörte Werke, herangezogen wurden.
Das führte in der Folge dazu, dass verschiedenste Kunstschutzinstitutionen eingerichtet wurden, um in einer militärischen Auseinandersetzung Zerstörungen an Bauwerken, Kirchen, kulturell und historisch bedeutsamen Plätzen, Archiven und Museen soweit als möglich vermieden – oder zumindest dokumentiert werden, um einen schnellen Wiederaufbau herbeizuführen.
In der Praxis konnte das natürlich nicht dazu führen, dass nun keine Zerstörungen an Städten mehr erfolgt wären. Wir kennen die Bilder der kriegszerstörten europäischen Innenstädte gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.
Vor allem im Bereich der Beutekunst hatte jedoch ein Umdenken stattgefunden – umso brisanter jedoch die Fälle, in denen doch zumindest der Verdacht auf Beutekunst bestand. Eine Geschichte macht das besonders deutlich.
Im Wiesbadener Landesmuseum hatte nach dem Zweiten Weltkrieg ein sogenannter „Central Collecting Point“ sein Lager bezogen. Betreut von den Kunstschutzoffizieren der Monuments, Fine Arts and Archives Section (die Monuments Men) führte man in diesem Gebäude Kunstwerke zusammen, die man – kriegsbedingt ausgelagert – in Salzminen, Bergwerken und sonstigen Depots aufgefunden hatte.
Warum hat man das gemacht?
- Safekeeping: Sichere Unterbringung der zerstreuten Kulturgüter
- Restitution der von Deutschen geraubten Kunstgegenstände
Gründungsdirektor wurde Captain Walter Farmer, der auch die ersten Kunstwerke entgegennahm. Bereits im Juli 1945 treffen Kunstwerke ein, die aus dem Wallraf-Richartz-Museum Köln stammten, und ab August dann auch die Kunstwerke aus Merkers, in 57 LKW-Ladungen, Werke, die sich vor dem Krieg in der Gemäldegalerie befunden hatten, im Kunstgewerbe-Museum, der Ägyptischen Abteilung, dem Kupferstichkabinett, dem Museum für Völkerkunde etc.
Zu den bekanntesten Einlagerungsstücken zählte sicherlich die „bunte Königin“, die die Monuments Men im Besonderen faszinierte. Die Büste der Nofretete, die aus der Ägyptischen Abteilung der Berliner Sammlung stammte, war ebenfalls mit den Berliner Kisten in Merkers eingelagert und so nach Wiesbaden gekommen. Insgesamt – auch wenn die Zählung sicherlich schwierig ist – beherbergte das Museumsgebäude rund 700.000 Kunstwerke während der Bestehenszeit des CCP.
Farmer hatte den Central Collecting Point zum Laufen gebracht. Seit dem Sommer 1945 treffen Kunstwerke aus deutschen Sammlungen ein, die allesamt kriegsbedingt ausgelagert waren. Diese Kunstgegenstände werden von Farmer und seinem Team gesichtet, inventarisiert, ordnungsgemäß gelagert und für die Restitution vorbereitet. Er schreibt an seine Frau in den Vereinigten Staaten:
„Wir bauen eine neue Welt und wollen, was gut ist, aus der alten hinüberretten. (…) Nichts darf meine Arbeit aufhalten. Ich bin ständig auf den Beinen, und trotzdem kommt es mir vor, als ginge es nur im Schneckentempo voran.“
Aber dann geschieht etwas, mit dem Direktor Farmer nicht gerechnet hat und was seine Auffassung von Kulturgüterschutz zuwiderläuft. Farmer erhält den Befehl zum Abtransport von 200 Kunstwerken in die Vereinigten Staaten von Amerika – Westward ho! Die offizielle Begründung: Die Unterbringung in Wiesbaden ist nicht sichergestellt.
Farmer ist erstaunt – hatte er doch alle Anstrengungen unternommen, um die eingelagerten Kunstwerke in Wiesbaden bestmöglich, mit nachkriegsbedingten Einschränkungen, unterzubringen. Sollte da eine Beutekunst-Absicht dahinter stehen? Wollten die Amerikaner deutsche Kunstwerke als Reparationszahlungen in die USA bringen? Waren diese 200 Kunstwerke nur der Anfang von einem Beutekunstzug größeren Stils?
Wie kam das zustande, was war der Hintergrund dieses Befehls? Schon im März 1945 hatte General Lucius D. Clay den Wunsch geäußert, alle deutschen Kunstwerke in die USA zu bringen – damals allerdings ohne klare Vorstellung darüber, wie viele Kunstwerke das sind und wie die Situation der Museen in Deutschland ist. Während des Kriegs blieb es bei diesem Wunsch.
Im Juli – da war der Wiesbadener CCP bereits installiert – entstand in den USA ein Klassifizierungssystem, um der Menge an Kunstwerken Herr zu werden:
- Class A: Kunstwerke die von Deutschen in besetzten Gebieten von öffentlichen und privaten Sammlungen geraubt worden waren und für die keine Entschädigung erfolgt war
- Class B: identisch wie A, aber mit einer Entschädigungsleistung
Diese beiden Kategorien waren Kandidaten für eine Restitution ins Ausland und standen damit nicht zur Disposition.
- Class C: Kunstwerke, die bona fide Eigentum Deutschlands waren. Diese Kunstwerke wären grundsätzlich Kandidaten für Reparationszahlungen an die Alliierten – allerdings scheint man davon nicht viel in Deutschland vermutet zu haben (sondern ging überwiegend von „Loot“ aus.
Im August 1945 trafen die Kunstwerke aus Merkers, also aus den Berliner Sammlungen, in Wiesbaden ein.
Im September entwarf die Militärregierung eine Pressemeldung über die geplante Verbringung von Kunstwerken in die USA (in treuhänderischer Verwaltung wegen der ungenügenden Unterbringungsmöglichkeiten) – for safekeeping.
Von alledem scheint Farmer nichts gewusst zu haben.
Das Wiesbadener Manifest
Im November 1945 trifft Col. McBride in Deutschland ein, um die Situation im WCCP zu begutachten. Nach einem vernichtenden Bericht über die Bedingungen vor Ort, erteilt Clay den Befehl über den Abtransport von 200 Kunstwerken.
Farmer erhält daraufhin am 6. November ein Telegramm vom seinem Vorgesetzten Clay, er möge 200 Gemälde aus den Einlagerungsbeständen auswählen und in die USA senden, da ihre sichere Unterbringung in Deutschland nicht gewährleistet sei. Sie sollten in Amerika verwahrt werden, solange bis sich die Situation geändert hat. Farmer kann diesen Abtransport nicht gutheißen. Er widerspricht seiner Auffassung von Kulturgüterschutz, von der Bewahrung vom Kulturerbe einer Nation, das vor Ort bleiben muss.
Seine Sorge war, dass man die Kunstschützer der Plünderung von Kunstwerken in der Besatzungszone bezichtigen werde – genau das hatte man ja den NS-Kunsträubern vorgeworfen! Und nun sollte sie selbst Beutekunst abtransportieren? Walter Farmer selbst äußert sich über den Abtransport:
„Wir sind nicht besser und nicht schlechter als die Deutschen. Tatsache ist, dass wir viel von ihnen gelernt haben – an Unehrenhaftigkeit.“
Und mit dieser Einstellung ist Farmer nicht allein. Er bestellt noch für den nächsten Tag die in Europa stationierten Kunstschutzoffiziere nach Wiesbaden. Gemeinsam setzen sie ein Papier auf, in dem es unter anderem heißt…
„Wir möchten darauf hinweisen, daß unseres Wissens keine historische Kränkung so langlebig ist und so viel gerechtfertigte Verbitterung hervorruft wie die aus welchem Grunde auch immer erfolgende Wegnahme eines Teils des kulturellen Erbes einer Nation, sei es auch, daß dieses Erbe als Kriegstrophäe aufgefaßt wird.“
Dieses als „Wiesbadener Manifest“ bekannt gewordene Schriftstück wurde am 07.11.1945 von 24 der 32 nördlich der Alpen stationierten Kunstschutzoffiziere unterzeichnet.
Warum waren die Kunstschutzoffiziere gegen den Abtransport, was sprach aus ihrer Sicht dagegen?
Technische Argumente
- nicht ausreichend sichere Unterbringung konnte nicht akzeptiert werden.
- Zudem war eine Verschiffung ein weit größere Gefahr für die Kunstwerke
Politische Gründe
- Die Kunstwerke, die in die USA abtransportiert wurden, gehörten in Museen, die in anderen Besatzungszonen lagen àdie Verschiffung könnte die Beziehungen zwischen den Alliierten gefährden
- Befürchtung, der Abtransport könnte in deutschen Augen als Kunstraub gewertet werden (das hatten sie ja bei den Nationalsozialisten scharf verurteilt) – sie wollten den Vorwurf der Beutekunst nicht auf sich sitzen lassen
Moralische Bedenken
- „Imageschäden“ – Verhältnis zu dem deutschen Museumspersonal, wenn sie Kunstwerke nicht schützen, sondern rauben
Das Manifest selbst kam zu spät – der Abtransport konnte ohnehin nicht mehr verhindert werden – die Ereignisse überstürzen sich. Schon am 20. November 1945 waren 200 Kunstwerke versandfertig. Ausgewählt wurden Meisterwerke von Künstlern wie Rembrandt, Rubens, Tizian, Cranach, Dürer, Holbein, Raffael, Mantegna, Edouard Manet, Rogier van der Weyden oder Jan Vermeer. Sie kamen im Dezember 1945 in Washington an, wo sie in den Depots der National Gallery of Art eingelagert wurden.
Die 200 Kunstwerke waren also verloren. War das Manifest völlig wirkungslos?
Nein, das war es nicht! Als eine direkte Befehlsverweigerung konnte es seine Wirkung nicht entfalten, aber der Inhalt, die Ansicht der Kunstschutzoffiziere gelangte auf andere Weise an die Öffentlichkeit und führte über einen Umweg zum Ziel.
Im November 1945 besuchte die amerikanische Journalistin Janet Flanner den CCP. Sie veröffentlichte das Wiesbadener Manifest am 17.11.1945 im „New Yorker“. Wenig später veröffentlichte Monuments Man Charles Kuhn, heimgekehrt in die Vereinigten Staaten, einen Artikel namens „A Protest“ im College Art Journal. Am 7.2.1946 erscheint ein Artikel in der New York Times.
In der Folge verfassten 95 amerikanische Kunstexperten eine Resolution an den US-Präsidenten, in der sie die Rückgabe der Bilder nach Deutschland forderten sowie weitere Transporte aus Deutschland zu verhindern ersuchten. Federführend in dieser Aktion waren die Direktorin des Whitney Museums (New York), Juliana Force, sowie der Direktor der Frick Collection (New York), Frederick Mortimer Clapp.
Durch diesen öffentlich gemachten Protest musste schließlich auch die amerikanische Regierung einlenken und die Kunstwerke an Deutschland zurückgeben.
Walter Farmer hat damit unter Beweis gestellt, dass Kulturgüterschutz nicht nur Schutz von Welterbe bedeutet, sondern darüber hinaus auch eine nationale Bedeutung hat. Dass Kulturgüter sinnstiftend und identitätsfördernd für eine Nation sind. Er erkannte, wie wichtig der Erhalt dieser Werke für den kulturellen Wiederaufbau, für die Überwindung der barbarischen Naziherrschaft sein würde, damit Deutschland wieder als Land mit einer vielfältigen kulturellen – und damit auch menschlichen – Tradition wieder erstehen konnte.